Aktuelles, Experten - geschrieben von am Montag, Mai 9, 2011 23:09 - noch keine Kommentare

Der lange Weg zur Öffnung der Unternehmensarchive für die Forschung

Schering in einer Vorreiterrolle

[datensicherheit.de, 09.05.2011] Der Einladung zum 2. Abend zur Industriekultur in Berlin-Brandenburg der beiden Kooperationspartner, Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftarchiv e.V. (BBWA) und Verein für die Geschichte Berlins e.V., gegr. 1865 (VfdGB), folgten über 100 Interessierte am 6. Mai 2011:
Unterstützt wurde diese Vortragsveranstaltung im „Goldberger-Saal“ im „Ludwig-Erhard-Haus“ mit dem Titel „Schering in Berlin – ein Markenname ist Geschichte“ von Bayer HealthCare Pharmaceuticals, der Gesellschaft für Transfer immateriellen Vermögens e.V. (GTIV), der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin (DTMB), und dem Verein Berliner Kaufleute und Industrieller e.V. (VBKI).

Faltblatt: BBWA e.V., Berlin (mit Foto aus dem Schering-Archiv, Bayer AG)

Faltblatt: BBWA e.V., Berlin (mit Foto aus dem Schering-Archiv, Bayer AG)

Erforschung der Unternehmensgeschichte braucht Zugang zu Primärquellen

Prof. Dr. Volker Berghahn, Department of History, Columbia University, New York, führte in seiner Einleitung aus, dass zwischen 1945 und den 1980er-Jahren die Wirtschaftsgeschichte wie „Aschenputtel“ behandelt worden sei, man sich lieber um das 19. Jahrhundert gekümmert habe. Die Kritik an der Rolle der deutschen Unternehmen zwischen 1933 und 1945 insbesondere auf studentischer Seite habe eben dazu geführt, dass die Primärquellen in den Archiven der Unternehmen kaum zugänglich gewesen seien. So sei statt direkter Unternehmensgeschichte eher einer stark statistisch orientierten Wirtschaftsgeschichte mit quantitativen Schwerpunkten nachgegangen worden. Er habe sich aber gerade für die qualitativen Aspekte interessiert, sei doch sein Vater eine „Siemens-Mann“ gewesen, der sein Interesse an Konzernen geweckt habe, so Prof. Berghahn. Als er seine Studie „Unternehmer und Politik in der Bundesrepublik“ mit dem Fokus aufs Kulturelle publizierte, sei er heftig kritisiert worden – diese sei zu wenig wissenschaftlich. Aber gerade das Kulturelle, sprich die „Amerikanisierung“ der west-deutschen Wirtschaft, angefangen mit dem Marshallplan, als sprichwörtlichem Motor der europäischen Vereinigung, über die Befreiung der Industrie von Kartellen bis hin zum Umbau des Industriesystems, verdiene besondere Beachtung.
Prof. Berghahn schloss mit der positiven Feststellung, dass heute die Unternehmensarchive für die Forschung weit geöffnet seien und der Schering Stiftung dabei eine Vorreiterrolle zukomme. Mit Dank und Glückwunsch an das BBWA übergab er das Wort an seinen einstigen Doktoranden.

Prof. Dr. Christopher Kobrak, Professor of Finance, ESCP Europe, Paris, und Visiting Scholar am Centre for Corporate Reputation der Oxford University, sprach im Zusammenhang mit der Unternehmensgeschichte von einer „Liebesaufgabe“ – ein Unternehmen agiere eben nicht getrennt von Ort, Politik und Kultur. Er betonte dankbar, dass er für seine Forschungen damals vorbildliche Unterstützung durch das Schering-Archiv erfahren habe. Ihn habe das Motto „Aus Berlin in alle Welt“ fasziniert, denn Schering habe sich somit zugleich als ein Berliner wie auch internationales Unternehmen verstanden. Unternehmen und Standorte bedingten und beeinflussten einander dialektisch, so z.B. heute das kalifornische Silicon Valley und die dort beheimateten Unternehmen der Computertechnologie, aber eben auch Berlin und Schering.
Zu den positiven Wendungen der Geschichte gehöre es, die Zeit zum Aufbruch zu erkennen und dem „Zauber des Anfangs“ zu vertrauen. Berlins Erfolg sei nie durch Rohstoffe, sondern stets durch das Know-how, das sich aus der akademischen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Führerschaft in der Gründerzeit gespeist habe, begründet gewesen. Seiner Meinung nach sei Scherings Reputation durch die Zeiten unverrückbar an den Standort Berlin gebunden gewesen, so Prof. Kobrak. Daran hätten auch der Erste Weltkrieg mit der allgemeinen Verschlechterung der wirtschaftlichen Randbedingungen und der Zweite Weltkrieg mit seinen schweren Zerstörungen nichts ändern können – so sei die Entscheidung, nicht nach West-Deutschland zu gehen, sondern im Westteil Berlins unweit der innerstädtischen Grenze zu bleiben, zunächst einmal eine rein geschäftliche gewesen! Die damalige Kapitalnot habe zur Wiederaufnahme der Produktion geführt, um laufende Kosten decken zu können, und zunächst habe man nur 350 Mitarbeiter zu vermindertem Lohn weiter beschäftigen können, während 900 beurlaubt worden seien. Aber die Belegschaft mit ihrem Know-how sei als Vermögenswert und Standortvorteil begriffen worden. 1950 sei schon wieder in zehn Länder mit erhaltenen Warenzeichen exportiert worden; konsequent habe man sich auf die eigenen Stärken konzentriert und bewährte Produkte fortentwickelt. Schering und Berlin hätten sich gerade in schwerer Zeit gegenseitig bedingt – und gemeinsam ein Vertrauen in die Zukunft des Standortes geschöpft, so das Fazit.

Martina Schrammek, Projektmanagerin der Schering Stiftung, Berlin, beschrieb, was von „Schering“ erhalten bleibt. Die 2002 gegründete Stiftung agiere seit 2006 unabhängig – und führe den Namen in jedem Fall weiter!
Konkret werde auch durch die Ausstellung PILLEN UND PIPETTEN – Die chemisch-pharmazeutische Industrie am Beispiel Schering im Deutschen Technikmuseum das Erbe gepflegt.

BBWA-Vorsitzender Prof. Dr. Klaus Dettmer dankte den Vortragenden für die lebendige Darstellung und wies auf die Folgeveranstaltung hin, die sich der Berliner Bodengesellschaft widmen werde – vorgesehen ist der 23. September 2011. Er schloss mit dem Aufruf, das vorhandene Quellenmaterial beim BBWA für die Forschung sichern zu helfen, etwa durch Spenden für eine Rollregalanlage.

Weitere Informationen zum Thema:

datensicherheit.de, 20.04.2011
Der Markenname Schering ist Geschichte: 2. Abend zur Industriekultur auf Spurensuche / Was bleibt, wenn eine Traditionsmarke mit regionaler Bindung und Weltgeltung verschwindet?



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