Aktuelles - geschrieben von am Donnerstag, März 17, 2011 23:23 - noch keine Kommentare

Japan: Die Zeichen an der Wand und die absurde Informationspolitik

Herausgeber Dirk Pinnow zum Umgang mit Höherer Gewalt und den von Menschen zu verantwortenden Folgen

[datensicherheit.de, 17.03.2011] Blickt man sich dieser Tage in den deutschen und internationalen Medien in der Erwartung um, wenigstens ansatzweise ein klares Gesamtbild der gegenwärtigen katastrophalen Lage in Japan zu erhalten, so wird jedoch eine dissonante Collage angeboten. Fast möchte es scheinen, dass wir es mit zwei oder gar mehr Gemengelagen in voneinander separierten „Parallelwelten“ zu tun haben:
Bei solch fürchterlichen Vorfällen überschlagen sich die Medien sonst immer mit der Meldung der Opferzahlen – ganz so, als würde es um die Abstimmung bei einem Schlagerwettbewerb gehen. Diesmal ist bisher weitgehende Zurückhaltung zu bemerken, entsteht fast der Eindruck, die Zahlen lieber nach unten „abrunden“ zu wollen. So werden nach offiziellen Angaben derzeit noch über 8.600 Menschen vermisst [1]. Angesichts der Satellitenbilder der vom Tsunami am stärksten betroffenen Gebiete besteht wohl kaum noch Hoffnung, viele von ihnen lebend aufzufinden.
Das Verhalten von offizieller japanischer Seite gibt Rätsel auf. Während die Politik und Staatsführung eher hilflos erscheinen und fast Mitleid erregen, dilettieren die Repräsentanten der Betreiberfirma des Kernkraftwerk-Komplexes von Fukushima [2]. Allein das Erdbeben von Kōbe 1995 hat den Japanern und damit auch den dortigen Betreibern großtechnischer Anlagen doch sehr deutlich gemacht, in welcher Gefahr sie sich befinden. In den Zonen des Aufeinandertreffens von Erdplatten ist eben mit schweren Erdbeben zu rechnen – sie sind gewissermaßen das „sichere Ereignis“, allein das Datum des Eintretens weiß man nicht. Wer in solchen Gebieten z.B. Kernkraftwerke errichtet, muss bei der Planung grundsätzlich von dem schwerstmöglichen Störfall ausgehen – und mit einem mehrfachen Puffer Sicherheit (also Zuverlässigkeit im Betriebsalltag und Stabilität im Katastrophenfall) organisatorisch wie technisch garantieren können. Das heißt, dass gemäß dem Fail-Safe-Prinzip schon bei kleinsten Erdbewegungen die Kernspaltung ohne weiteres menschliches Zutun und ohne komplizierte Technik und Energiezufuhr sofort unterbrochen wird und die Funktionalität der Brennstab-Abkühlung in jedem Fall garantiert werden muss. Ist dies nicht zu leisten, darf es an solchen Orten derartig potenziell gefährliche Einrichtungen einfach nicht geben! An dieser Stelle soll die Frage der Energieversorgung gar nicht erst zu einer pseudo-religiösen Gesinnungsfrage stilisiert werden. Das Thema ist viel zu ernst, als dass es auf Stammtischniveau zerredet werden sollte – es geht um unsere Zukunft und die der kommenden Generationen, die gleichermaßen ein Recht auf Unversehrtheit und eine intakte Umwelt, aber eben auch auf zuverlässige Versorgung und vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten ihres Lebens haben. Wer sich auf der Sachebene diesem komplexen Thema widmen möchte, dem sei die Beschäftigung mit der Forschung der Helmholtz-Gemeinschaft [3] zum Thema „Energiemix“ anempfohlen! Demnach gibt es für die Energieversorgung rein wissenschaftlich betrachtet leider keinen „Königsweg“; bei allen Anstrengungen würden Wind- und Solarenergie vielleicht bis zu 20 Prozent des Bedarfs decken können – bei der Betrachtung der Bedarfsdeckung muss nämlich auf den Flächenverbrauch und die Bauzeit für ein Kraftwerk welcher Art auch immer geachtet werden.
Die Neuen Medien des frühen 21. Jahrhunderts tragen weit entfernte Geschehnisse in unsere Heime – so gesehen hat die Globalisierung sogar etwas Gutes, lässt sie doch das Gefühl entstehen, dass jetzt „Nachbarn“ in Not sind und die gegenwärtigen Ereignisse zugleich auch eine Warnung an uns sein sollten.
Japan ist offensichtlich ein zerrissenes Land – und das nicht nur im geologischen Sinne. Der energiehungrige Ballungsraum um Tokio zeugte bisher von einem „Leben auf der Überholspur“, wobei der Motor dieser zwischen Tradition und Moderne auf- und eingespannten Gesellschaft schon seit Jahren gefährlich stotterte…  Zudem bleibt kritisch zu hinterfragen, ob nicht der als Vorbild genommene US-amerikanische Ansatz zur Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche, fatal gepaart mit der japanischen Kaizen-Philosophie, zur Pervertierung des Strebens nach Effizienz und Effektivität – zu Lasten der Sicherheit – führte. So sei die Möglichkeit eines Tsunamis nach Angaben eines Konstrukteurs des Kernkraftwerkes nie in Betracht gezogen worden – im Wesentlichen sollen dafür Pläne der US-Firma General Electric kopiert worden sein, so der Ingenieur [4]. Auf der anderen Seite stehen wohl fragwürdige Ehrauffassungen einer zeitnahen Inanspruchnahme ausländischer Hilfe entgegen – viel wertvolle Zeit zur Suche nach Überlebenden, Eindämmung der Katastrophe in den Reaktoren in Fukushima und zur Vorbereitung von möglichen Evakuierungen aus dem Tokioter Großraum wurde sinnlos vergeben.
Liest man in einem Onlinemedium von einer Verschlimmerung der Lage, wird es auf einer anderen Website schon wieder relativiert. Klar ist nur, dass Tausende von Menschen leiden und trauern – und zu allem Überfluss jetzt auch noch von Winterwetter heimgesucht werden. Man muss es leider auf den Punkt bringen: Die mit den Wagnissen, d.h. dem Leben und dem Betrieb kerntechnischer Anlagen in einer Verwerfungszone, verbundenen Gefahren (Erdbeben und Tsunamis) sind seit langer Zeit bekannt – das eigentliche Risiko, also die Möglichkeit der Einbuße des Lebens, der Gesundheit und der Heimat, liegen indes in weiten Teilen in der Verantwortung der Menschen. Natürlich gibt es keinen vollständigen Schutz gegen Höhere Gewalt, aber zumindest Folgeschäden – und damit ein Grauen ohne Ende – hätten den Japanern erspart bleiben können. Die WELT ONLINE spricht gar davon, dass die Tragödie in Japan „metaphysische Ausmaße“ anzunehmen scheint [5].
Aus anderen Ländern kann somit nur immer wieder Hilfe zur Selbsthilfe angeboten werden – den Sprung über die langen Schatten der Vergangenheit und die Glättung der Verwerfungen der Nachkriegszeit müssen die Japaner selbst bewerkstelligen! Jedoch sollten wir uns bei aller Kritik davor hüten, in Überheblichkeit zu verfallen, denn sämtliche G8-Staaten, wenn nicht gar jede Nation auf Erden, haben ihre historischen Altlasten und ihre Blinden Flecken bzw. ihre Scheuklappen… Wir sollten den Zustand unserer eigenen Gesellschaft, unseres wirtschaftspolitischen Systems und unseres Werteverständnisses wie auch unserer Notfall- und Wiederanlaufplanung umgehend – frei von Hysterie wie Ignoranz – auf den Prüfstand stellen und modifizieren, bevor Deutschland wieder einmal auf eine „Stunde Null“ zurückgeworfen wird!

Weitere Informationen zum Thema:

[1] stern.de, 17.03.2011
5200 Tote und 8600 Vermisste durch Erdbeben und Tsunami in Japan

[2] Berner Zeitung, 17.03.2011
Die Schuljungen von Tepco spielen Pressekonferenz

[3] Auf dem Campus, 16.11.2010
Kein Königsweg beim Energiedilemma der Menschheit: Ohne Kernfusion im Energiemix wird es nicht gehen / Helmholtz-Salon als neue Veranstaltungsreihe der Helmholtz-Gemeinschaft zum „Jahr der Energie“

[4] WELT ONLINE, Ulrich Kraetzer, 17.03.2011
KEIN TSUNAMI-SCHUTZ / Reaktor-Konstrukteur gibt schwere Planungspanne zu

[5] WELT ONLINE, Reginald Grünenberg, 16.03.2011
MEINUNG | NIPPONS NIEDERGANG / Schluss mit höflich! Japans Selbstbetrug muss enden



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