Aktuelles, Experten, Studien - geschrieben von am Freitag, Juli 5, 2019 22:44 - noch keine Kommentare

Anonymisierungsdienste: Reporter ohne Grenzen kritisieren Kriminalisierung

Zur effektiven Strafverfolgung personelle und technische Aufstockung der Polizei gefordert

[datensicherheit.de, 05.07.2019] Laut einer Meldung des Reporter ohne Grenzen e.V (ROG) möchte das Bundesinnenministerium „den Betrieb von Tor-Servern kriminalisieren und damit unter anderem erreichen, gegen Whistleblowing-Plattformen wie etwa ,Wikileaks‘ ermitteln zu können“. Außerdem drohe für Anonymisierungsdienste das Aus, mit denen Exil-Medien brisante Informationen aus Krisen- und Kriegsgebieten erhalten können. Dies sei das Ergebnis einer interdisziplinären Analyse des sogenannten „Darknet-Paragrafen“ durch Juristen, IT-Experten und Menschenrechtsaktivisten. Diese Pläne verunsicherten bereits jetzt deutsche Betreiber von Tor-Servern, die 30 Prozent des weltweiten Tor-Netzes ausmachten. Wegen ihrer Bedeutung hätte ein Rückgang des Engagements in Deutschland gravierende Folgen für das gesamte Anonymisierungsnetzwerk. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland laut ROG auf Platz 13 von 180 Staaten.

Anonymität im Internet zur Umgehung der Zensur für Journalisten

„Wir wehren uns gegen die Kriminalisierung unseres Einsatzes für Anonymität im Internet. Nur weil wir Tor-Knoten betreiben, sind wir nicht kriminell“, betont ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. ROG unterstützt nach eigenen Angaben das Tor-Netzwerk mit zwei Servern, um Journalisten die Umgehung von Zensur zu ermöglichen. Mihr: „In unseren Trainings zur digitalen Sicherheit erleben wir täglich, wie wichtig ein VPN oder der Tor-Browser für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten geworden ist. Solche Angebote gilt es im Zeitalter zunehmender Überwachung zu stärken, anstatt zu kriminalisieren.“
Die Stellungnahme zum „Darknet-Paragrafen“ ist online abrufbar. Verfasst haben sie laut ROG Moritz Bartl vom Verein Zwiebelfreunde, welcher einer der größten Betreiber von Anonymisierungsinfrastruktur weltweit sei, sowie Daniel Moßbrucker als ROG-Referent für Internetfreiheit und Dr. Christian Rückert von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, unter anderem Mitglied der Expertenkommission der Justizministerkonferenz in der Länderarbeitsgruppe „Digitale Agenda Straf- und Strafprozessrecht“.

Unterstützung für Kampf gegen „Darknet“-Kriminalität – vorgelegte Gesetzesentwürfe schießen aber deutlich über das Ziel hinaus

Seit Monaten kursierten auf Bundes- und Landesebene Gesetzesentwürfe, um den Betrieb von Handelsplattformen im sogenannten Darknet unter Strafe zu stellen. Dazu habe der Bundesrat einen Entwurf verabschiedet, der in einem Leak auf dem Blog „netzpolitik.org“ in einer „verschärften Version“ des Bundesinnenministeriums (BMI) wieder aufgetaucht sei. Das BMI gebe vor, damit den Betrieb von Marktplätzen unter Strafe zu stellen, wenn dort zum Beispiel Drogen oder gestohlene Daten illegal vertrieben würden. Aufgrund einer Lücke im deutschen Strafrecht sei dies angeblich gar nicht oder nur sehr schwer möglich.
Während alle an der Stellungnahme beteiligten Organisationen und Institutionen den Kampf gegen „Darknet“-Kriminalität im Grundsatz unterstützten, „schießen die vorgelegten Gesetzesentwürfe deutlich über das Ziel hinaus“. Die Argumentation des Innenministeriums sei rechtswissenschaftlich nicht haltbar: Vermeintliche Lücken im Strafrecht bestünden bei genauer Analyse nicht, vor allem aber seien die geplanten Befugnisse so weitgehend, dass der bloße Betrieb von Anonymisierungsdiensten kriminalisiert werden könne. Es ließe sich ein Anfangsverdacht herstellen, um zum Beispiel Server zu beschlagnahmen. Bei drei Vertretern der Zwiebelfreunde sei dies 2018 bereits passiert, wobei jedoch die Durchsuchungen bayerischer Ermittler anschließend für rechtswidrig erklärt worden seien. „Die Maßnahme hat unter Aktivistinnen und Aktivisten für Anonymität im Internet dennoch für Verunsicherung gesorgt.“

Whistleblowing-Plattform „Wikileaks“ könnte sich dann nicht auf Ausnahme berufen…

Anstatt nur gegen illegale Marktplätze vorzugehen, könnten den Plänen des Innenministeriums nach auch viele wünschenswerte Anwendungen des „Darknet“ – aber auch im sonstigen Internet – kriminalisiert werden. Zwar solle es eine Ausnahme für „Darknet“-Dienste geben, die ausschließlich von Medien genutzt werden, doch hierzu würde in der Praxis nur die Secure-Drop-Technologie zählen. Damit setzten sich Redaktionen einen eigenen „Darknet“-Server auf, um als anonymer Briefkasten für Quellen zu dienen. In Deutschland betreibe unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ eine „Secure Drop“-Webseite.
Die Whistleblowing-Plattform „Wikileaks“ hingegen könnte sich auf die Ausnahme nicht berufen, obwohl sie mit Hunderten Medien weltweit kooperiere. Gegen Menschen, die für „Wikileaks“ arbeiten, könnte auf Basis des „Darknet-Paragrafen“ ermittelt werden. Auch die Nutzung des Filesharing-Programms „Onion Share“ wäre illegal, obwohl es gerade bei Exil-Medien beliebt sei. Mit ihr können Reporter demnach in autokratischen Ländern vollständig anonym große Datenmengen wie zum Beispiel Videos zu Medien schicken, um das Material dann in Sicherheit verarbeiten und veröffentlichen zu können.

Aktuell läuft fast ein Drittel des Tor-Netzverkehrs über deutsche Server

Die Autoren warnten in ihrer Analyse vor einer einschüchternden Wirkung, die ein solch breit gefasster „Darknet-Paragraf“ gerade für Betreiber von Tor-Servern in Deutschland hätte. Deutschland stehe weltweit an erster Stelle, „was die Gesamtkapazität des Netzwerks betrifft, denn aktuell läuft fast ein Drittel des Tor-Netzverkehrs über deutsche Server“. Das aktuelle Register zähle über 1.300 Knoten allein in Deutschland.
Der „Darknet-Paragraf“ würde es erheblich erleichtern, einen Anfangsverdacht wegen der Ermöglichung von Straftaten zu begründen. Damit könnten Strafverfolgungsbehörden gegen Personen vorgehen, die einen Tor-Server betreiben, „etwa indem sie die Computer beschlagnahmen oder überwachen“. Diese Kriminalisierung des ehrenamtlichen Engagements für Anonymität im Internet hätte mutmaßlich abschreckende Effekte, so dass weniger Server in Deutschland am Netz wären – und die Stabilität des Tor-Netzwerkes insgesamt betroffen wäre. Beim Verein Zwiebelfreunde seien in den vergangenen Wochen bereits Nachfragen verunsicherter Betreiber eingegangen.

Bereits bestehende Schwerpunktstaatsanwaltschaften aus dem Bereich „Cybercrime“ stärken!

Die Autoren empfehlen laut ROG, „sowohl die Pläne des Innenministeriums als auch des Bundesrates umgehend zu verwerfen, zumal die angeblichen Strafrechtslücken ohnehin nicht existieren“. Dies sei auch das Ergebnis bei einem Fachgespräch im Bundestag auf Einladung der Grünen-Bundestagsfraktion am 1. Juli 2019 in Berlin gewesen.
Stattdessen empfehlen die Autoren der Stellungnahme laut ROG „zur effektiven Strafverfolgung eine personelle und technische Aufstockung der bundes- und Landespolizeien, insbesondere im Bereich ausgebildeter IT-Fachkräfte. Hierfür sollten auch die bereits bestehenden Schwerpunktstaatsanwaltschaften aus dem Bereich Cybercrime gestärkt werden.“

Weitere Informationen zum Thema:

Reporter ohne Grenzen e.V.
Angriff auf die Anonymität im Internet / Folgen des sogenannten “Darknet-Paragraphen” als § 126a Strafgesetzbuch für die rechtliche Praxis – und Kollateralschäden seines Einsatzes für die Presse-, Meinungs- und Telekommunikationsfreiheiten

Bundesrat, 18.01.2019
Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen / Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes – Einführung einer eigenständigen Strafbarkeit für das Betreiben von internetbasierten Handelsplattformen für illegale Waren und Dienstleistungen

NETZPOLITIK.ORG, 03.04.2019
IT-Sicherheitsgesetz 2.0: Wir veröffentlichen den Entwurf, der das BSI zur Hackerbehörde machen soll

Deutschlandfunk Kultur, 09.03.2019
Regulierung des Darknet / Wann ist der Betrieb einer Plattform strafbar?

NETZPOLITIK.ORG, 24.08.2018
Öffentlichkeit / Gericht urteilt: Durchsuchung bei Zwiebelfreunden war rechtswidrig [Update]

Süddeutsche Zeitung
Sie haben Daten, die Sie uns anvertrauen möchten? / So erreichen Sie uns sicher

BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN auf YouTube, 01.09.2019
Brauchen wir eine digitale Agenda für das Straf- und Verfahrensrecht?

REPORTER OHNE GRENZEN
Deutschland / Rangliste der Pressefreiheit — Platz 13 von 180

datensicherheit.de, 09.03.2019
Stark wachsende SSL/TLS-Zertifikats-Schwarzmärkte im Darknet



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