Aktuelles, Experten - geschrieben von am Mittwoch, Februar 17, 2021 16:32 - noch keine Kommentare

Auch Daten sollten Fair-Trade-Produkt sein

Restriktiver Datenschutz nicht Endzweck, aber legitimes Druck-Mittel für den Übergang zu einer fairen Datenökonomie

[datensicherheit.de, 17.02.2021] Die Palette an „fair gehandelten“ Produkten werde seit Jahren immer größer – angefangen bei Kaffee über Kleidung bis hin zu Smartphones überdächten immer mehr Verbraucher ihren Konsum. Noch weitgehend ausgenommen hiervon sei bisher der Bereich der Digitalen Dienste. Unternehmen bräuchten viele Daten zur Optimierung, zur Personalisierung sowie als Ware auf einem Datenmarkt. Die Nutzenden sorgten sich um ihre Privatsphäre, zahlten ungern, produzierten die Daten aber zugleich aktiv mit. An einem Ausgleich solcher Interessen arbeitet nach eigenen Angaben nun das Forschungsprojekt „Faire digitale Dienste. Ko-Valuation in der Gestaltung datenökonomischer Geschäftsmodelle“ der Universität Kassel.

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Foto: Universität Kassel

Prof. Dr. Jörn Lamla: Grundidee dieses Projekts ist Entwicklung eines mehrdimensionalen Konzeptes datenökonomischer Fairness

Fairer Ausgleich zu einem gewissen Teil durch monetäre Verrechnung von Daten

Die Grundidee dieses Projekts sei es, ein mehrdimensionales Konzept von datenökonomischer Fairness zu entwickeln. Es solle bei der Gestaltung neuer Geschäftsmodelle für digitale Dienste breite Anwendung finden können. „Wir achten hierbei sowohl auf die Seite der Unternehmen als auch auf die der Verbraucherinnen und Verbraucher“, unterstreicht Prof. Dr. Jörn Lamla, Leiter des Fachgebiets „Soziologische Theorie“ und Koordinator des Verbundprojekts.
Ein fairer Ausgleich könne dabei zu einem gewissen Teil durch eine monetäre Verrechnung von Daten stattfinden. So könnten Apps bewusst ein kostenpflichtiges Angebot anbieten. Im Gegenzug würden so wenig Daten wie nötig gespeichert und keine Daten an Dritte weitergegeben werden. „Jedoch gibt es auch Werte im Zusammenhang mit digitaler Datenverarbeitung, die mit Geld nicht zu verrechnen sind“, so Professor Lamla.

Es gibt auch Werte im Kontext digitaler Datenverarbeitung, welche nicht mit Geld zu verrechnen sind

Das Verletzen des Grundrechts auf Persönlichkeitsschutz, Diskriminierung durch Algorithmen oder langfristige Nebenfolgen für Demokratie, Umwelt und Gesellschaft gehörten typischerweise dazu. Ausgleich durch Verrechnung könne daher nur eine Form von Ko-Valuation sein. Deswegen werde auch an zwei weiteren Formen gearbeitet. Zum einen sollten neue Designkonzepte helfen, die verschiedenen Belange fair zu berücksichtigen. Verbraucher stünden häufig vor dem Problem, nicht zu wissen, welche Daten von einer App gespeichert und mit welchen Zielen diese verarbeitet werden.
Technische Vorkehrungen im Sinne des „Privacy by Design“-Ansatzes und übersichtlichere Darstellungen und Bewertungen sollten hierbei für mehr Schutz und Transparenz sorgen. Zum anderen solle die Idee einer digitalen Fairness-Kultur dort etabliert werden, wo digitale Dienste auf Social-Media und Plattform-Architekturen zur Datenproduktion zurückgreifen. Das Ziel sei es, das Vertrauensverhältnis zwischen allen daran Beteiligten und davon Betroffenen zu stärken.

Verzicht auf Datenverarbeitung ebenso problematisch wie umfassende, unkontrollierte Erfassung und Beeinflussung privater Lebensführung

Faire Geschäftsmodelle schafften nicht nur einen Interessenausgleich zwischen Unternehmen und Nutzenden. Langfristig sieht Professor Lamla auch Potenziale für die Entwicklung eines europäischen Pfads für die Datenökonomie. Dieser setze verstärkt auf eine demokratische Aushandlung von Wertkonflikten: „Wir haben aktuell zwei große Modelle der Datenökonomie. Auf der einen Seite sind die USA, wo einige wenige Unternehmen die Kontrolle über alle Daten haben. Auf der anderen steht China, wo der Staat über eine Datenkontrolle in das Leben seiner Bürger eingreift. Wir wollen einen dritten Weg untersuchen für eine faire und verantwortungsbewusste Datenökonomie.“
Dabei sei der Verzicht auf Datenverarbeitung ebenso problematisch wie die umfassende und unkontrollierte Erfassung und Beeinflussung der privaten Lebensführung. Für Professor Lamla kann ein restriktiver Datenschutz nicht Endzweck, aber legitimes (Druck-)Mittel für den Übergang zu einer fairen Datenökonomie sein: „Um die Chancen und Gewinne der Digitalisierung für alle Seiten zu erhöhen, muss das Zusammenwirken verschiedener Akteure einschließlich der selbstlernenden Informationstechnik letztlich so überdacht und neu ausgestaltet werden, dass die pluralen Werte darin gut koexistieren können.“ Hierfür gelte es Wege zu neuen Geschäftsmodellen zu bahnen.

Verantwortungsbewusste Datenökonomie: Ausgleich durch Verrechnung in Form einer Ko-Valuation

Um dies zu erreichen, kämen die Projektmitglieder sowohl aus der Wissenschaft als auch aus der Praxis. Neben dem Fachgebiet „Soziologische Theorie“ sind das demnach an der Universität Kassel die Fachgebiete „Wissensverarbeitung“ und „Gender/Diversity“ des Fachbereichs „Elektrotechnik/Informatik“.
Hinzu kämen das Institut „Wirtschaftsinformatik und Neue Medien“ der LMU München sowie zwei Praxispartner, ebenfalls aus München das Unternehmen BurdaForward und aus Berlin der Verein Institut für Technik und Journalismus, kurz ITuJ e.V. Das Projekt sei ausgelegt auf drei Jahre – es werde mit gut 1,5 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert, von denen etwas mehr als eine Million Euro an die Beteiligten der Universität Kassel gingen.

Weitere Informationen zum Thema:

UNIVERSITÄT KASSEL
Prof. Dr. Jörn Lamla / Fachgebiet Soziologische Theorie



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