Aktuelles, Experten - geschrieben von dp am Freitag, September 2, 2011 21:21 - noch keine Kommentare
Datenschutz und Terrorismus: Erforderlichkeitsgrundsatz als Ausdruck des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips
Peter Schaar befürwortet Verfahren, die sich auf konkrete Ermittlungen beziehen und viel weniger in Grundrechte eingreifen als die anlasslose Vorratsdatenspeicherung
[datensicherheit.de, 31.08.2011] Das in den 1970er-Jahren formulierte Datenschutzrecht sei eine Reaktion auf Gefährdungen gewesen, die von der automatisierten Datenverarbeitung ausgegangen seien, so Peter Schaar. Das Hauptanliegen habe darin bestanden, die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu begrenzen und deren Verwendung zu steuern. Von Beginn an sei es dem Datenschutz um einen Interessenausgleich zwischen den Betroffenen und den Nutznießern der Verarbeitung auf staatlicher wie privatwirtschaftlicher Ebene gegangen. Ein lange Zeit unbestrittenes datenschutzrechtliches Schlüsselkonzept sei der Grundsatz der Erforderlichkeit gewesen, erinnert der Bundesdatenschutzbeauftragte in einer aktuellen Stellungnahme zu den Nachwirkungen des 11. September 2001 auf den Datenschutz:
Jede Stelle, die personenbezogene Daten sammelt, müsse sich auf das zum Erreichen des angestrebten Ziels erforderliche Datenminimum beschränken. Für staatliche Stellen sei der Erforderlichkeitsgrundsatz Ausdruck des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips, wonach Grundrechtseingriffe sich auf das zur Aufgabenwahrnehmung notwendige Minimum zu beschränken hätten.
Nach „9/11“ hätten vor allem US-amerikanische Sicherheitsbehörden im Erforderlichkeitsgrundsatz eine unzeitgemäße Behinderung im „Krieg gegen den Terror“ gesehen. Auch in Europa habe sich diese Denkweise schnell ausgebreitet. In Deutschland etwa sei das aus den Zeiten des Kampfes gegen den deutschen Terrorismus in den 1970er- und 1980er-Jahren stammende und seither kaum noch eingesetzte Instrument der „Rasterfahndung“ reaktiviert worden. Bei der Rasterfahndung würden die klassischen strafrechtlichen Ermittlungsmethoden de facto umgedreht, so Schaar. Die Erhebung umfangreicher persönlicher Daten stehe am Anfang und nicht am Ende des Verfahrens. Die Erfassung erfolge nicht gezielt, sondern umfasse einen möglichst großen Datenbestand, aus dem sich – so die Hoffnung der Ermittler – Verdachtsfälle „herausrastern“ ließen.
Noch gravierender sei die 2006 eingeführte Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten, die ohne jeden konkreten Anlass jeden Nutzer von Telekommunikationsdiensten oder des Internets umfasse. Nur unter den Bedingungen der terroristischen Bedrohung sei es europaweit mehrheitsfähig gewesen, Telekommunikations- und Internetdaten langfristig zu speichern. Es mute eigenartig an, dass die Idee der anlasslosen Speicherung und Anhäufung von Daten, die zunächst in den USA viele Anhänger gefunden habe, in ihrer krassen Form im Jahr 2006 eine für alle EU-Mitgliedstaaten verbindliche Vorgabe geworden sei.
Schaar führt aus, dass nach dem Erforderlichkeitsgrundsatz Daten zu löschen sind, sofern sie für ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr benötigt werden – bei der Vorratsdatenspeicherung sei die Argumentation umgedreht worden; Daten werden also auf jeden Fall zu speichern, egal ob sie konkret benötigt werden. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in einem laut Schaar an Deutlichkeit kaum zu überbietenden Urteil 2010 das Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärte, sei damit leider keine Umkehr eingeleitet. So vergehe kaum ein Tag, an dem Vertreter der Sicherheitsbehörden, Polizeigewerkschafter oder Innenpolitiker nicht forderten, Deutschland möge so schnell wie möglich ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschließen.
Für Schaar sei es indes „kein Zeichen der Weisheit“, wenn bei der Forderung nach generellen Speicherungspflichten alternative Ansätze pauschal als „ungeeignet“ abgetan würden, die wie etwa das „Quick Freeze“-Verfahren sich auf konkrete Ermittlungen beziehen und die viel weniger in Grundrechte eingreifen als die anlasslose Vorratsdatenspeicherung.
Weitere Informationen zum Thema:
Datenschutz FORUM, 31.08.2011
9/11-Serie – Folge 4: Abschied vom Erforderlichkeitsgrundsatz
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