Aktuelles, Experten, Studien - geschrieben von dp am Freitag, Dezember 6, 2019 21:01 - noch keine Kommentare
Digitalen Schutzraum für Kinder gefordert
Auf der Jahreskonferenz 2019 des Forschungsverbunds „Forum Privatheit“ konkrete Lösungsvorschläge diskutiert
[datensicherheit.de, 06.12.2019] Der Forschungsverbund „Forum Privatheit“ warnt davor, dass neue Technologien zunehmend Daten auch jüngerer Kinder sammeln – ohne dass die Kinder dem zugestimmt haben. Denn zum einen seien sie gar nicht in der Lage, dies zu tun – „da die Einwilligungstexte meist so geschrieben sind, dass die wenigsten Erwachsenen sie verstehen“. Zum anderen seien die Kinder meist zu jung, um die Folgen ihres digitalen Handelns abschätzen zu können. Dennoch nutzten sie die neuen Technologien – und seien so der „Datafizierung ihres Lebens“ – meist unwissentlich – ausgesetzt. Hierzu seien auf der Jahreskonferenz des Forschungsverbunds „Forum Privatheit“ Ende November 2019 konkrete Lösungsvorschläge diskutiert worden.
Aufwachsen in überwachten Umgebungen in der Diskussion
„Ein Geheimnis würde ich eher meinen Eltern oder meinen Freunden anvertrauen als ,Siri‘. Auf die Freunde kann man sich verlassen, auf ,Siri‘ nicht.“ – mit diesem Satz eines Zehnjährigen hat der Forschungsverbund „Forum Privatheit“ nach eigenen Angaben seine Jahreskonferenz „Aufwachsen in überwachten Umgebungen – Wie lässt sich Datenschutz in Schule und Kinderzimmer umsetzen?“ eröffnet.
Diese Äußerung verdeutliche, dass Kinder sich zwar mancher Risiken bestimmter Technologien bewusst seien – sie könnten jedoch gegenwärtig nicht mehr tun, als sich selbst von deren Nutzung auszuschließen, wenn sie sich schützen wollen.
Kinderdatenschutz: Konkrete Vorschläge zur verbesserten DSGVO-Umsetzung
Auch der Einsatz von Bildungssoftware an Schulen sollte mit Augenmaß betrieben werden: „Individuelles Lernen mittels Software ermöglicht zwar einerseits gute Fortschritte, aber durch deren Nutzung werden auch viele Daten über die Schülerinnen und Schüler erhoben, über Intelligenz, soziales Umfeld – und Daten können missbraucht werden“, warnt Dr. Herbert Zeisel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Deutschland wolle eine technische Umgebung, „die uns einen souveränen Umgang mit unseren Daten garantiert“, so Dr. Zeisel.
Um dies zu erreichen und die rechtlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, stellte Prof. Alexander Roßnagel, Sprecher des „Forum Privatheit“, nach eigenen Angaben acht Vorschläge vor, um die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Geiste der UN-Kinderrechtskonvention weiterzuentwickeln. So forderte er demnach unter anderem eine verbindliche Vorschrift, dass Daten von Kindern nicht für Persönlichkeitsprofile genutzt werden dürfen, sowie dass bei Technologien, die von Kindern genutzt werden, eine datenschutzfreundliche Voreinstellung vorzusehen ist. Wenn Daten von Kindern verarbeitet werden sollen, sollte dies bereits bei Umsetzung der Vorgabe „Privacy by design“ besonders berücksichtigt werden. Weiterhin sollte es für Kinder nicht mehr möglich sein, in die Verarbeitung von besonders schützenswerten Daten einzuwilligen, da sich Kindern über die Folgen dieser Einwilligung kaum bewusst seien. Diese Punkte sollten bei der Evaluierung der DSGVO bis Mai 2020 berücksichtigt und diese in diesem Sinne weiterentwickelt werden.
Für ein Verbot nutzungsbasierten Trackings von Minderjährigen
Vor einer „normalisierten Gesellschaft“, in welcher Individuen durch Algorithmen vereinheitlicht würden, warnte der Jurist Dr. Stephan Dreyer vom Leibniz-Institut für Medienforschung. Viele rechtliche Regelungen zum Kinderschutz sehe er durch die Entwicklung und Verbreitung neuer Technologien faktisch in Frage gestellt und fordere eine Neuinterpretation des Freiheitsbegriffs im Sinne eines Konzepts informationeller Unversehrtheit:
„Wir brauchen einen digitalen Schutzraum für Kinder“, sagt Dr. Dreyer. Hierfür sehe er vor allem den Gesetzgeber in der Pflicht, bestimmte Technologien zu verbieten, so z.B. nutzungsbasiertes Tracking von Minderjährigen sowie die Nutzung prädiktiver Verfahren – also das Sammeln von Daten, um daraus Vorhersagen abzuleiten – bei Kindern und Jugendlichen. Schließlich seien auch Angebote zu schaffen bzw. auszuweiten, die Kinder und Jugendliche bei der Durchsetzung ihrer Privatheit unterstützen.
Regulatorisch Bedingungen dafür schaffen, dass trotz Nutzung neuer Technologien Privatsphäre gewahrt bleibt
Die Vorträge zum Stand der empirisch-sozialwissenschaftlichen Forschung habe die Medienpsychologin Prof. Nicole Krämer von der Universität Duisburg-Essen zusammengefasst: „Bislang haben wir nur erste Hinweise darauf, wie gut Kinder verschiedener Altersstufen die Gefahren verstehen können, die mit der Sammlung und Speicherung ihrer Daten einhergehen.“
Auch die britische Sozialpsychologin Sonia Livingstone von der London School of Economics and Political Science, habe festgestellt, dass es bislang eine ungenügende Datengrundlage gebe, um zu entscheiden, ab welchem Alter Kinder wirklich „informiert“ und „selbstbestimmt“ Social-Media-Plattformen und Messenger-Dienste nutzen könnten. Ihre Forschungsergebnisse zeigten auch, dass Kinder zwar oft noch keine genaue Vorstellung davon hätten, dass und warum ihre Daten zu kommerziellen Zwecken gesammelt würden, dass sie aber den Wunsch hätten, besser aufgeklärt und auch geschützt zu werden. Vor allem habe sie darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft nicht erst Technologien in die Welt bringen und dann den Kindern und Jugendlichen deren Nutzung verbieten könne, um sie vor den Gefahren zu schützen. Vielmehr müssten regulatorisch die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass trotz der Nutzung von Technologien die Privatsphäre gewahrt bliebe.
Minderjährige gar nicht erst an überwachten Alltag gewöhnen
Die Tagung habe deutlich gemacht, dass das gesellschaftliche Interesse an kritischen Fragen zur Überwachung von Kindern und Jugendlichen groß sei, vor allem aber auch, wie hoch die gesellschaftliche Relevanz des Themas sei. Kinder und Jugendliche sollten und wollten sich nicht an einen überwachten (Schul-)Alltag gewöhnen. Die Institution Schule als Lernort für Demokratie und freie Meinungsbildung müsse nach geeigneten Wegen suchen, innerschulischen Datenschutz durch innovative Lösungen und eine umfassende Strategie umzusetzen.
Lehrer und Eltern müssten besser geschult werden, um zu einer Erhöhung der Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen beitragen zu können. Die Medienethikerin PD Dr. Jessica Heesen vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften habe die Ergebnisse der Konferenz wir folgt resümiert: „Eine digitale Gesellschaft, die ein Kinderrecht auf Privatheit umsetzt, ist eine Gesellschaft, die für alle sicherer, demokratischer und freier ist.“
Weitere Informationen zum Thema:
forum <privatheit>
Jahreskonferenz 2019: „Aufwachsen in überwachten Umgebungen – Wie lässt sich Datenschutz in Schule und Kinderzimmer umsetzen?“
datensicherheit.de, 23.03.2018
forum <privatheit>: Demokratie nicht einzelnen Internet-Unternehmen überlassen
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