Aktuelles, Branche - geschrieben von dp am Dienstag, Februar 22, 2022 14:18 - noch keine Kommentare
Kontrollverlust: Folgen eines großen Cyber-Kriegs kaum zu beherrschen
Urheber und Motivation strategischer Cyber-Angriffe nicht zweifelsfrei zu erfassen
[datensicherheit.de, 22.02.2022] Richard Werner, „Business Consultant“ bei Trend Micro, geht in seiner aktuellen Stellungnahme auf das Thema „Cyber-Krieg“ ein: „Russland gilt als Land, welches Cyber-Kriminalität nicht verfolgt und die Tatsache, dass hier seit Januar mehrere Cyber-Kriminelle verhaftet wurden, überraschte zunächst.“ Politisch bewege man sich damit allerdings auf einem „Minenfeld“. Denn diese Verhaftungen könnten – als Zeichen des guten Willens – zur Entspannung der Ukraine-Krise beitragen; sie könnten aber bei einer Verschärfung der Krise ebenso „als Vorbereitung von staatlich unterstützter Piraterie und wirtschaftlicher Kriegsführung dienen“.
Richard Werner: Wirklich erfolgreiche Cyber-Angriffe erzeugen nur punktuelle und schwer einzuschätzende Schäden…
Cyber-Kriminelle wie einst Freibeuter der Meere nur Spielball der Politik
Laut Medienberichten wurden Mitte Januar 2022 einige Protagonisten der Ransomware-Gruppierung „REvil“ durch Moskau verhaftet. „Sicherheitsforscher stellten mit Genugtuung fest, dass dies zu Ängsten und Verwirrung innerhalb der Cyber-Kriminellen-Szene führte. Viele fürchteten mit Russland einen sicheren Hafen zu verlieren. Aber Ransomware-Akteure sind, wie einst die Freibeuter der Meere, nur ein Spielball der Politik“, kommentiert Werner.
Dass im Speziellen „REvil“ festgesetzt wurde, dürfe als deutliches Zeichen zu verstehen sein, denn diese Gruppe habe seinerzeit hinter dem Angriff auf Colonial Pipeline in den USA gestanden – „die einzige Attacke auf eine Kritische Infrastruktur, die eine mehr als deutliche politische Reaktion auslöste“. Damit gebe Moskau potenziellen Nachahmungstätern ein Zeichen, welches von westlichen Beobachtern auch als Entgegenkommen gewertet worden sei.
Werner führt aus: „In einem eskalierenden Konflikt mit der Ukraine, wie wir ihn momentan beobachten, käme es für Russland aus verschiedenen Gründen ungelegen, wenn Cyber-Kriminelle Kritische Infrastrukturen im Westen angreifen und damit automatisch auch den eigenen politischen Handlungsspielraum einschränken.“
Wesen von Cyber-Waffen verstehen!
Formen der Cyber-Kriegsführung, wie Cyber-Spionage, Desinformationskampagnen oder disruptive Attacken auf Kritische Infrastrukturen bzw. Serversysteme eines Landes kann laut Werner nur verstehen, „wer sich mit dem Wesen von Cyber-Waffen auseinandersetzt“. Mit kleineren Aktionen ließen sich begrenzte Auswirkungen erzielen – „das beobachten wir schon seit über zehn Jahren“. Dadurch, dass es nicht möglich sei, den Urheber und dessen Motivation zweifelsfrei zu erfassen, handele es sich um politische Waffen, „die so lange wirken, wie sie in der Lage sind, Menschen zu verängstigen“. Größere Vorfälle, die auf Kritische Infrastrukturen oder ganze IT-Systeme eines Landes abzielten, seien hingegen für staatliche Täter nur extrem schwer kontrollierbar – „und damit als Kriegswaffe eigentlich ungeeignet“.
Als Beispiel diene „NotPetya“ von 2017. Werner erinnert: „Diese Attacke stellte sich mit großer Wahrscheinlichkeit als getarnter staatlicher Cyber-Angriff heraus, weil die Technik der Verbreitung und der angerichtete Schaden enorm fortschrittlich waren. Ganz im Gegensatz zum Ransomware-Anteil, der so unterentwickelt war, dass von einem Ablenkungsmanöver ausgegangen werden kann – im Gegensatz zu einem monetären Motiv.“ Die Ukraine habe dabei als Hauptopfer gegolten, aber auch europäische, US-amerikanische und russische Unternehmen seien von „NotPetya“ betroffen gewensen. „Denn ähnlich atomarer, biologischer und chemischer Waffen lassen sich digitale Waffen in ihrer Wirkung nicht einschränken. In einer vernetzten Welt treffen sie jeden“, betont Werner und warnt:
„Wer sie in einem Konflikt als Waffe einsetzt, muss damit rechnen, auch nicht teilnehmende Nationen sowie früher oder später sich selbst zu treffen.“ Versuche man als Täter dagegen die Waffe kontrolliert einzusetzen, brauche man Personal, um sie in ihrer Wirkung zu „betreuen“. Hierzu seien Spezialisten gefragt, um etwa pro ins Visier genommenem Unternehmen Erfolge sicherzustellen. Die Anzahl der möglichen Opfer sei durch diesen hohen Aufwand an Ressourcen automatisch begrenzt.
Cyber-Attacken eher für Manipulation und Ablenkung geeignet
Bisherige Vorfälle wie „Stuxnet“, ein im Jahr 2010 aufgedeckter und effektiver Computerwurm, oder „NotPetya“ hätten bewiesen: „Es ist möglich, mit gezielten Aktionen enorme Schäden anzurichten. Ein Kriegsgegner könnte Waffen wie diese einsetzen, um in einem eskalierenden Konflikt einer anderen Nation massive Probleme zu bereiten – mit Konsequenzen für weitere Staaten.“ Denn ebenso wie der Einsatz einer nuklearen Waffe hätte eine unkontrollierte digitale Eskalation der Krise zwischen Russland und der Ukraine auch Auswirkungen auf Deutschland, Europa und die ganze Welt.
Da die Folgen aber wesentlich milder seien als die einer nuklearen Bedrohung, könnte dieses Szenario für militärische „Falken“ weniger abschreckend wirken. Umso wichtiger sei es, die diplomatische Konfliktlösung in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich könne davon ausgegangen werden, dass heute jedes Land über Mittel verfügt, nicht allein defensiv zu reagieren. „So ist auch die Bundesregierung zumindest im Besitz der notwendigen Technik für einen ,Hackback‘, um bei Attacken zurückschlagen zu können“, so Werner.
Cyber-Kriegsführung sei in manchen Nationen mittlerweile fest etabliert und Angriffe kämen demzufolge strategisch zum Einsatz. In der Regel seien staatliche Täter jedoch mehr daran interessiert, durch Cyber-Attacken die öffentliche Wahrnehmung zu manipulieren oder Ablenkungsmanöver zu inszenieren, anstatt dauerhafte, weitgreifende Störungen – zum Beispiel Kritischer Infrastrukturen – zu verursachen. Die psychologische Wirkung überwiege an dieser Stelle. Wirklich erfolgreiche Cyber-Angriffe erzeugten nur punktuelle und schwer einzuschätzende Schäden, „die bestenfalls den Weg für einen konventionellen Schlag ebnen, ihn aber nicht ersetzen“, so Werners Fazit.
Weitere Informationen zum Thema:
BBC NEWS, 14.01.2022
REvil ransomware gang arrested in Russia
datensicherheit.de, 18.01.2022
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