Aktuelles, Experten - geschrieben von dp am Freitag, Mai 31, 2019 11:44 - noch keine Kommentare
Bundesverwaltungsgericht: Videoüberwachungsverbesserungsgesetz gestoppt
Nationale Regelungen zur Privilegierung privater Videoüberwachung verstoßen gegen Europarecht und sind daher nicht anwendbar
[datensicherheit.de, 31.05.2019] Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) meldet, dass das Bundesverwaltungsgericht in seiner jetzt veröffentlichten Entscheidung vom 27. März 2019 deutlich gemacht hat, dass die Videoüberwachung durch private Stellen ausschließlich am europäischen Datenschutzrecht zu messen ist. In dem zugrunde liegenden Fall ging es demnach um eine Anordnung der Brandenburgischen Beauftragten für Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht zur datenschutzkonformen Ausrichtung der Videoüberwachung in einer Zahnarztpraxis.
Nationale Bestimmung in § 4 Abs. 1 S. 1 BDSG europarechtswidrig
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts regelt also die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) die Videoüberwachung durch Private abschließend.
Folglich, so der HmbBfDI, ist die nationale Bestimmung in § 4 Abs. 1 S. 1 BDSG „europarechtswidrig und im Ergebnis unanwendbar“. Private Videokameras könnten daher im Ergebnis nur auf der Rechtsgrundlage des Art. 6 Abs. 1 Buchstabe f DSGVO betrieben werden. Die danach zu erfolgende Güterabwägung sei nicht durch nationales Recht modifizierbar.
Gericht hat Rechtsauffassung der Datenschutzbehörden bestätigt
„Die Einfügung des § 4 Abs. 1 BDSG im Zuge des damaligen ,Videoüberwachungsverbesserungsgesetzes‘ ist eine Reaktion auf einen Amoklauf im Juni 2016 in einem Münchner Einkaufszentrum, bei dem neun Menschen erschossen wurden.“ Der damals zuständige Bundesinnenminister habe beabsichtigt, Betreiber von Einkaufszentren sowie etwa Sportstätten und Parkplätzen zu Helfern bei der originär staatlichen Aufgabe der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung machen.
Er habe argumentiert, dass die Sicherheit öffentlicher Plätze bei der Abwägung gegenüber den datenschutzrechtlichen Interessen der Betroffenen vorrangig herzustellen sei – diese Vorrangklausel hätte dann einen Ausbau der Videoüberwachung durch private Stellen ermöglichen müssen und wäre von Aufsichtsbehörden bei der datenschutzrechtlichen Prüfung zu berücksichtigen gewesen. Das Gericht habe nun aber die Rechtsauffassung der Datenschutzbehörden bestätigt, die bereits im Jahr 2017 anlässlich der Diskussion im Gesetzgebungsverfahren eindringlich auf den Vorrang des Unionsrechts hingewiesen hätten.
Videoüberwachung zum Schutz öffentlicher Sicherheit nicht auf private Betreiber abzuwälzen
„Das Vorhaben, mit dem ,Videoüberwachungsverbesserungsgesetz‘ privat betriebene Videoüberwachung an öffentlichen Orten durch den Zweck der Terrorabwehr und die öffentliche Sicherheit zu legitimieren, wurde anlässlich des damaligen Gesetzgebungsprozesses aus datenschutzrechtlichen, verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Gründen kritisiert. Das wurde nun im Ergebnis durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Die Aufgabe der Videoüberwachung zum Schutz der öffentlichen Sicherheit kann nicht auf private Betreiber übertragen werden, sondern bleibt eine Aufgabe der zur Ausübung öffentlicher Gewalt befugten staatlichen Behörden“, erläutert HmbBfDI Johannes Caspar.
Auch in Zukunft könnten nach Maßgabe der Europäischen Datenschutzgrundverordnung private Betreiber die Schutzinteressen von dritten Personen bei der Datenverarbeitung berücksichtigen – allerdings nicht im Rahmen einer nationalen Vorrang- und Verstärkerklausel zum Schutz der öffentlichen Sicherheit durch private Videoüberwachungsanlagen. Der gesamte Vorgang zeige einmal mehr: Die rechtspolitische Verfolgung von Sicherheitsinteressen müsse stets mit Augenmaß erfolgen und dürfe die rechtsstaatlichen Vorgaben nicht außer Acht lassen. „Insoweit ist gerade auch auf Seiten der Betreiber nunmehr eine Rechtsunsicherheit entstanden, die hätte vermieden werden können“, kommentiert Caspar.
Weitere Informationen zum Thema:
Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 27.03.2019 – BVerwG 6 C 2.18ECLI:DE:BVerwG:2019:270319U6C2.18.0
Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, 03.03.2017
Stellungnahme des HmbBfDI zur öffentlichen Anhörung am 6.3.2017 im Innenausschuss des Bundestages zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Fahndung bei besonderen Gefahrenlagen und zum Schutz von Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei durch den Einsatz von mobiler Videotechnik, Drucksache 18/10939, sowie zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch-elektronische Einrichtungen (Videoüberwachungsverbesserungsgesetz), Drucksache 18/ 10941
datensicherheit.de, 09.02.2019
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