Aktuelles, Experten - geschrieben von dp am Montag, Oktober 10, 2022 15:41 - noch keine Kommentare
EU-Pläne zur Chatkontrolle: 20 zivilgesellschaftliche Organisationen üben Kritik in einem gemeinsamen öffentlichen Aufruf
Überwachungsinfrastruktur von erschreckendem Ausmaß könnte in der EU etabliert werden
[datensicherheit.de, 10.10.2022] Laut einer aktuellen Meldung von Reporter ohne Grenzen (RSF) haben sich mehr als 20 zivilgesellschaftliche Organisationen in einem gemeinsamen öffentlichen Aufruf gegen die Pläne der Europäischen Kommission zur massenhaften Überwachung von Kommunikation und Online-Inhalten gewandt. Auch RSF hat sich demnach diesem Aufruf angeschlossen.
Pläne würden massiv in Grundrechte der gesamten europäischen Bevölkerung eingreifen
Die Pläne würden massiv in die Grundrechte der gesamten europäischen Bevölkerung eingreifen und eine Überwachungsinfrastruktur von erschreckendem Ausmaß etablieren, wird gewarnt und moniert: „Statt tatsächlich den Schutz von Kindern, also Prävention und Opferschutz, in den Mittelpunkt ihrer Maßnahmen zu stellen, setzt die Kommission auf eine vermeintliche ,technische’ Lösung, die Überwachung in demokratiegefährdendem Umfang ermöglicht.“
RSF-Geschäftsführer Christian Mihr betont: „Dass der Schutz vor Kindesmissbrauch eine hohe Priorität hat, ist keine Frage, doch die geplanten Maßnahmen der EU-Kommission schießen am Ziel vorbei!“ Die Überwachung auch von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation hebele de facto das Pressegeheimnis und den Quellenschutz aus. Informanten und Whistleblower könnten sich nicht mehr sicher sein, „dass ihre Informationen geschützt sind und werden im Zweifel lieber schweigen“.
EU-Kommission fordert faktisch, Verschlüsselung auszuhebeln
Im Mai 2022 habe die EU-Kommission einen Verordnungsentwurf zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch vorgelegt. Der Vorschlag sehe unter anderem vor, Kommunikations- und Hosting-Diensteanbieter dazu zu verpflichten, sämtliche Inhalte aller Nutzer nach verdächtigem Material zu durchleuchten und Verdachtsfälle an eine zentrale Stelle weiterzuleiten. Das würde bedeuten, dass beispielsweise Messengerdienste wie „WhatsApp“ oder „Signal“ private Chats aller Nutzer durchsuchen müssten. Auch Maßnahmen wie verpflichtenden Alterskontrollen oder Netzsperren würden vorgeschlagen.
Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation sei im Verordnungsvorschlag ausdrücklich nicht ausgenommen. Das Durchleuchten verschlüsselter Kommunikation sei aber technisch nur möglich, wenn die Verschlüsselung insgesamt gebrochen oder untergraben werde – „etwa indem das eigene Gerät mittels Technologien wie Client-Side-Scanning (CSS) zur Überwachung genutzt wird“. Bei CSS würden versendete oder empfangene Dateien lokal auf dem Endgerät einer Person auf bestimmte Inhalte durchsucht, bevor diese weitergeleitet werden.
In der EU droht faktisch das Ende des elektronischen Brief- und Fernmeldegeheimnisses
Da sämtliche elektronische Kommunikation – von Messenger-Diensten über E-Mail bis zur Sprachtelefonie (betreffend „Grooming“, also dem Jüngermachen Erwachsener zum Anbahnen sexueller Beziehungen mit Minderjährigen) – sowie Hosting betroffen sein kann, würde dies zu einem faktischen Ende des elektronischen Brief- und Fernmeldegeheimnisses führen.
Umsetzbar wäre dies nur durch den Aufbau einer umfassenden technischen Infrastruktur, die nicht nur fehler- und missbrauchsanfällig sei, sondern auch jederzeit um weitere Deliktsfelder erweitert werden könnte. Die Kampagne „Chatkontrolle stoppen” wendet sich nach eigenen Angaben entschieden dagegen und fordert von den politisch Verantwortlichen, von diesen Plänen Abstand zu nehmen.
Überwachungsinfrastruktur gemäß Vorschlag der EU-Kommission widerspricht grundlegenden Werten unserer Gesellschaft
„Wir fordern die gesamte Bundesregierung und insbesondere das verhandlungsführende Bundesinnenministerium auf, entschieden gegen die dystopischen Pläne zur Chatkontrolle einzutreten. Sie muss endlich ihren Einfluss im Europäischen Rat geltend machen, um die Verordnung zu verhindern“, so Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft e.V.
Julia Witte, Digitalcourage e.V., kommentiert: „Die Überwachungsinfrastruktur, die nötig wäre, um den Vorschlag der Kommission umzusetzen, widerspricht den grundlegenden Werten unserer Gesellschaft. Wenn keine unbeobachtete Kommunikation mehr möglich ist, ist das eine Katastrophe.“
Weitere Informationen zum Thema:
RSF REPORTER OHNE GRENZEN
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datensicherheit.de, 18.08.2022
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