Aktuelles, Experten - geschrieben von am Donnerstag, Juni 20, 2013 21:43 - noch keine Kommentare

Globale Internet-Überwachung durch Geheimdienste wird zum Politikum

Kritische transatlantische Anmerkungen des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz

[datensicherheit.de, 20.06.2013] Der rheinland-pfälzische Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (LfDI RLP), Edgar Wagner, hat die globale Internet-Überwachung durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA zum Anlass für eine aktuelle Stellungnahme genommen:
Es könne niemanden überraschen, dass dieser US-amerikanische Geheimdienst seit geraumer Zeit u.a. auf Google- und facebook-Daten zugreift und diese Daten auswertet. Schon seit Jahren sei aktenkundig, dass die Auslandsaufklärung der USA die internationale, über Satelliten geführte Kommunikation abhört und dass es auch Zugriffsmöglichkeiten US-amerikanischer Sicherheitsbehörden auf die Datenbestände von US-Cloud-Anbietern wie Google, Microsoft und Amazon gibt. Zu Letzterem liege sogar eine EU-Studie vor. Deshalb habe man auch damit rechnen müssen, dass dem Geheimdienst der totale Zugriff auf sämtliche Internet-Datenbestände möglich sein wird, so Wagner. Überraschend sei nur, dass jemand den Mut gefunden hat, unter Inkaufnahme schwerer persönlicher Nachteile den vollen Umfang dieser Eingriffe aufzudecken.
Auch wenn dies als „Geheimnisverrat“ zu werten sei, verdiene es angesichts der Dimension des Vorgangs doch Respekt; jedenfalls gelte dies für den bisher bekannt gewordenen Beweggrund, die Bürger in einer öffentlichen Debatte darüber mitbestimmen zu lassen, wie weit in digitalen Zeiten private Lebensumstände durch staatliche Stellen ausgespäht werden dürfen.
Es sei deshalb zu begrüßen, dass jetzt auch in den USA darüber diskutiert wird, ob die Geheimdienstpraxis legal oder illegal gewesen ist, wo die Grenzen staatlicher Überwachungsmaßnahmen liegen und ob es in den USA unterschiedliche Datenschutzstandards für US-Bürger und Ausländer gibt. Notwendig sei darüber hinaus laut Wagner aber vor allem eine lückenlose Aufklärung darüber, wie die Kommunikationsüberwachung stattgefunden hat und ob die betroffenen Internetfirmen, von Google bis facebook, von Apple bis Microsoft, unterrichtet waren und gar ihre „Digitalen Finger im Dunklen Spiel“ hatten. Wäre es so, würde dies ein Schlaglicht darauf werfen, wie diese Internetgiganten mit den ihnen anvertrauten Daten ihrer Nutzer und Mitglieder umgehen, betont Wagner.
Aber auch hierzulande seien die Datenschutz-Defizite hinsichtlich der großen US-Internetanbieter substanziell. Der Deutsche Bundestag habe mit Blick auf Google, facebook und Co. seine Arbeit eingestellt und verweise auf Europa. Der europäische Gesetzgeber scheitere allerdings gerade dabei, in einer Datenschutz- Grundverordnung auch US-amerikanische Unternehmen an europäische Datenschutzstandards zu binden. Die gegenwärtige Amtsperiode des Europäischen Parlaments werde aller
Voraussicht nach ohne entsprechende Regelung zu Ende gehen, was in dem komplizierten europäischen Rechtssetzungsmechanismus zur Folge habe, dass in den nächsten fünf bis sechs Jahren keine entsprechenden Regelungen zur Anwendung kommen werden. Darüber hinausgehende Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA seien zwar ebenfalls notwendig, allerdings könne man sie sich aus Sicht des Datenschutzes kaum wünschen, weil es den USA regelmäßig gelinge, ihre datenschutzfernen Interessen konsequent durchzusetzen. Das habe zuletzt das 2012 beschlossene Abkommen über die Speicherung von Fluggastdaten wieder deutlich gemacht, erläutert Wagner.
Diese Situation führe beim transatlantischen Datenschutz im Allgemeinen und mit Blick auf das Internet im Besonderen zu „unhaltbaren Zuständen“. Die großen US-Internetunternehmen begriffen, so Wagner, das World Wide Web als weitgehend regelungsfreien Raum. In dieser unregulierten Welt genössen selbst die besonders Schutzbedürftigen nicht den gebotenen Schutz. In diesem „beklemmenden Datenschutz-Szenario“ hätten die Länder zwar nur einen geringen Handlungsspielraum, aber diesen sollten sie nutzen. Sie dürften sich zum Einen nicht damit abfinden, dass die vom Bundesrat einstimmig beschlossenen Gesetzesentwürfe zur Verbesserung des
Datenschutzes gegenüber den großen Internetfirmen von der Bundesregierung blockiert werden. Diese Gesetzesentwürfe müssten wieder auf die Tagesordnung. So lange es keine europäischen Regelungen gebe, könnten auf diese Weise die US-Internetkonzerne gezwungen werden, Daten tatsächlich zu löschen, wenn die Nutzer und Mitglieder dies verlangen.
Zum Zweiten müssten die Länder mehr als bisher unternehmen, um die digitale Medienkompetenz der Bürger zu verbessern. Wer nicht will, dass sein Privatleben von Geheimdiensten ausgespäht und seine Persönlichkeit von Google und facebook durchleuchtet wird, müsse auch selbst etwas dagegen tun, meint Wagner. Möglichkeiten dafür gebe es genug – sie reichten von einer strengeren Datendisziplin im Netz über die Nutzung von Tarnidentitäten, die Verschlüsselung von vertraulichen Informationen, den weitgehenden Verzicht auf persönliche Fotos bis zu einer größeren Distanz zu den Internetdiensten, die von den US-Geheimdiensten abgeschöpft werden, was auch die Nutzung alternativer Suchmaschinen bedeute. Internetkompetenz stelle sich nicht von alleine ein; sie müsse erlernt werden, vor allem in den Schulen.
Vor allem müsse der Staat sich selbst als medienkompetent erweisen und insoweit Vorbild sein. Deshalb verbiete es sich z.B. für Lehrkräfte, mit ihren Schülern in schulischen Angelegenheiten über facebook zu kommunizieren, so wie es sich jetzt geradezu aufdränge, dass der Staat nicht mit Hilfe von facebook-Fanseiten mit seinen Bürgern kommuniziert.
Schließlich sei es auch an der Zeit, dass Staat und Wirtschaft alternative Netzwerke intensiver und nachhaltiger als bisher unterstützen. Wenn facebook sich offensichtlich in datenschutzfreien Räumen bewegen könne, sei es an der Zeit, kleinere europäische Alternativen aufzubauen. Es genüge also nicht, schließt Wagner, nur von den USA mehr Datenschutz zu verlangen. Wer dies glaubwürdig tun möchte, der müsse auch in Europa notwendige Datenschutzmaßnahmen auf den Weg bringen.



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