Experten, Aktuelles - geschrieben von dp am Freitag, Februar 10, 2023 21:48 - noch keine Kommentare
Chat-Kontrolle: Deutscher Anwaltverein warnt vor Totalüberwachung unter Deckmantel des Kinderschutzes
Gefährdung det Grundrechte aller Bürger durch EU-Pläne zur Chat-Kontrolle
[datensicherheit.de, 10.02.2023] Die EU-Kommissarin für Inneres möchte im Rahmen eines Berlin-Besuchs bei Bundesinnenministerin Faeser und Bundesjustizminister Buschmann die EU-Pläne für eine Chat-Kontrolle (CSAM) besprechen – der Deutsche Anwaltverein e.V. (DAV) kritisiert in seiner aktuellen Stellungnahme dieses Vorhaben – welches einen „nie dagewesenen Eingriff in die Privatsphäre“ der Bürger bedeuten würde – „aufs Schärfste“. Die Bundesregierung müsse sich klar zum Koalitionsvertrag bekennen und die anlasslose Massenüberwachung der elektronischen Kommunikation vollumfänglich ablehnen, fordert der DAV.
Zweck des Kinderschutzes heiligt nicht Mittel der Chat-Kontrolle
Rechtsanwältin Dr. Sylvia Ruge, Hauptgeschäftsführerin des DAV. Kommentiert: „Der Kampf gegen sexuellen Missbrauch ist ein Thema von höchster Wichtigkeit – doch heiligt eben der Zweck nicht die Mittel!“ Die anlasslose und flächendeckende Überwachung der privaten Kommunikation würde in die Grundrechte nahezu aller Bürger eingreifen, Kinder jedoch nur in geringem Maße schützen. Sie betont: „Hierfür sollten die Staaten zielgerichtete, effektive und möglichst präventive Maßnahmen ergreifen. Eine anlasslose Massenüberwachung erfüllt diese Kriterien nicht.“
Beinahe die Gesamtheit der Hosting- und Kommunikationsanbieter wäre von der Scan-Pflicht betroffen. Die etablierte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung – in zahlreichen Messengern längst Standard – müsste entweder aufgehoben oder durch einen client-seitigen Scan umgangen werden.
„Die Pläne der EU würden das Recht auf Achtung des Privatlebens, das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit verletzen“, kritisiert Dr. Ruge. Ohne das Vorliegen einer Bedrohung für die Nationale Sicherheit oder eines konkreten Verdachts auf terroristische Aktivitäten sei eine solche automatisierte Datenauswertung unzulässig. Nicht zuletzt sei auch die Anwaltschaft betroffen: „Die Vertraulichkeit der Kommunikation von Anwältinnen und Anwälten mit ihren Mandanten wäre nicht mehr gewährleistet“, warnt die Rechtsanwältin – die Folgen für den Berufsgeheimnisschutz wären fatal.
Chat-Kontrolle eine ungeeignete Ermittlungsmethode
Bei allen rechtlichen Schwierigkeiten sei die Chat-Kontrolle auch für tatsächliche Ermittlungen ein ungeeignetes Werkzeug. Diese Technik ist „unpräzise“ und führe zu einer „Masse an Falsch-positiv-Treffern“.
Bedingung für das Erkennen solcher Straftaten sei auch die Verifizierung des Alters der Nutzer – ohne Klarnamen- und Identifizierungspflicht sei das nicht machbar. Die technische Umsetzung der Chat-Kontrolle würde Sicherheitslücken aufreißen – Geräte könnten kompromittiert und von Dritten ausgelesen werden.
Die DAV-Hauptgeschäftsführerin mahnt deshalb: „Die Chat-Kontrolle untergräbt die rechtsstaatlichen Prinzipien in der Verbrechensbekämpfung. Dass das hehre Ziel des Kinderschutzes herhalten soll, um ein solches Instrument zu etablieren, ist mindestens fragwürdig.“ Der DAV appelliert an die Bundesregierung, sich – wie es der Koalitionsvertrag verlange – „deutlich gegen die anlasslose Durchleuchtung sowohl der verschlüsselten als auch der unverschlüsselten elektronischen Kommunikation zu positionieren“.
Weitere Informationen zum Thema:
datensicherheit.de, 19.10.2022
Chatkontrolle: Protest verbreitet sich europaweit / European Digital Rights startet Kampagne gegen Chatkontrolle unter dem Motto „Stop Scanning Me!“
datensicherheit.de, 10.10.2022
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