Aktuelles, Interviews - geschrieben von am Freitag, Mai 5, 2023 9:44 - noch keine Kommentare

Keine Scheu mehr vor der Öffentlichkeit: Cyber-Kriminalität, das Dark Net und Telegram

Im Interview mit Oded Vanunu zur aktuellen Bedrohungslage der IT-Sicherheit, Trends, Zukunft des Web 3 und Telegran

datensicherheit.de, 05.05.2023] Im Rahmen der CPX 360 EMEA in München, der Hausmesse von Check Point Software Technologies, dem großen IT-Sicherheitsanbieter aus Israel, hat Herausgeber und Chefredakteur von datensicherheit.de (ds)  Carsten J. Pinnow mit Oded Vanunu, Head of Products Vulnerabilities Research bei Check Point, über die aktuelle Bedrohungslage der IT-Sicherheit und die Trends unter Hackern gesprochen. Außerdem wurden die Zukunft des Web 3 mit Smart Contracts als neuer Basis und Telegram als öffentlicher Plattform und Schwarzmarkt für Cyber-Kriminelle thematisiert.

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Oded Vanunu, Head of Products Vulnerabilities Research bei Check Point, Foto: Check Point

ds: Guten Tag, Herr Vanunu! Schön, dass wir uns heute mal wieder von Angesicht zu Angesicht unterhalten können. Beginnen wir gleich mit der ersten Frage: Sie haben schon einige große Nachforschungen durchgeführt und veröffentlicht, aber welche war die faszinierendste Entdeckung Ihrer Karriere?

Oded Vanunu: Hallo! Ja, ich freue mich auch, dass wir wieder Veranstaltungen vor Ort abhalten und besuchen können. Zu Ihrer Frage: Es gibt viele Dinge, auf die ich stolz sein kann. Nicht jeder Tag ist gleich strukturiert, ganz anders als beispielsweise in einer Position als Leiter der Cyber-Kriegsführung oder in einem Cyber-Unternehmen, das sich wirklich nur auf Cyber konzentriert. Ich habe jedoch auf fast allen großen Plattformen Schwachstellen entdeckt. Die Auswirkungen betrafen sofort Millionen, Hunderte von Millionen oder sogar Milliarden von Menschen. Wir fanden, zum Beispiel, eine Sicherheitslücke in WhatsApp. Das war eine der wichtigsten Entdeckungen. Wir waren sogar in der Lage, die gesamte Kommunikation nachzuvollziehen. Wir konnten Nachrichten im Namen anderer Personen oder von Personen, die nicht in der Gruppe waren, versenden. Wir konnten Nachrichten löschen und bearbeiten. Das war eine wichtige Erkenntnis, denn WhatsApp wird von den meisten Menschen für die tägliche Kommunikation genutzt. Daneben hatten wir Schwachstellen im DGI gefunden. Dies ermöglichte uns den Zugang zu Drohnen oder zu den Assets anderer Leute, sogar zu den Assets von Strafverfolgungsbehörden. Uns stand alles offen. Es gab Schwachstellen in Instagram, die wir ausnutzen konnten, um den Leuten eine bösartige Story zu senden. Sobald Sie diese öffnete, konnten wir Code auf Ihrem Gerät ausführen. Es gab also viele faszinierende Entdeckungen, aber ich denke, die Sache mit WhatsApp war bemerkenswert, da es sehr lange dauerte, bis die Sicherheitslücke geschlossen wurde.

ds: Sie nannten zwei Hauptaspekte, neben dem menschlichen Faktor, wenn etwas schief geht, nämlich die Konfiguration und die Implementierung der Algorithmen. Sie haben in Ihrem Kurzvortrag auch den Übergang von Web 2 zu Web 3 erwähnt und über Blockchains und deren Manipulation gesprochen. Mein Vater hat mir vor 40 Jahren schon von einigen Problemen, die Sie noch auf Ihrer Liste haben, erzählt: Division durch Null, Pufferüberlauf, hartkodierte Passwörter, Debugging-Informationen und fünf Weitere. Es sind somit noch dieselben. Die Frage lautet daher: Vielleicht sind die Algorithmen sicher, wenn man Blockchains verwendet, aber was ist mit der Implementierung der Algorithmen?

Oded Vanunu: Das ist das Problem. Sie haben völlig Recht, denn das Konzept der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist nicht neu. Wir sind nun lediglich mit diesem Konzept sehr vertraut geworden. Es wurde in allen Instanzen von Messaging-Anwendungen implementiert. Es gibt das Backend, welches nicht wirklich dezentralisiert ist und im Grunde genommen als Basis genutzt wird, wenn man Sicherheitsdienste oder Cloud-Dienste anbietet oder aufbaut. Zusätzlich erstellt man das Frontend, welches die gesamte Geschäftslogik beinhaltet und alles für den Kunden zur Verfügung stellt, aber: Im Web 3 wird die wichtigste Neuerung sein, das Modell des Smart Contracts hinzuzufügen. Es ist wie eine Software oder wie ein QuellCcode, der auf eine Aktion wartet, um eine Art von Trigger Code zu erzeugen, um daraufhin eine Transaktion in der Blockchain durchzuführen. Genau dort liegen die Schwachstellen in der Umsetzung. Mir reicht nur eine Schwachstelle dort aus. Wenn ich diese ausnutze, erreiche ich eine Erhöhung meiner Zugriffsrechte auf die Blockchain. Beispielsweise bin ich bei Open Sea, einem der größten NFT-Marktplätze, auf diese Weise kürzlich fündig geworden. Es ist wie das Facebook der NFTs. Bedenken Sie, dass NFTs nicht nur dazu da sind, um Affenbilder zu verkaufen.

ds: Dazu kann ich sagen: ein Freund von mir arbeitet an einer neuen Art von Journalismus. Wenn man Artikel schreibt, wird man derzeit nur einmal bezahlt, aber in Zukunft will er Texte schreiben, die man wie NFTs verkaufen kann. So kann man mehrmals Geld verdienen. Ist das eine reale Möglichkeit, NFTs zu nutzen, nicht um Affenbilder zu verkaufen, sondern um ein digitales Produkt zu vertreiben?

Oded Vanunu: Ja, so wird es funktionieren! Das wird ganz einfach sein. Es wird eine App geben und alle Artikel werden dort auf einer Blockchain mit einem Smart Contract gespeichert, der die Logik des Angebots implementiert. Sobald jemand diese Daten nutzen möchte, muss er dafür bezahlen oder eine im Smart Contract implementierte Bedingung erfüllen, damit der Besitz wechseln kann. Angenommen aber, es handelt sich um die App Ihres Freundes, die er erstellt hat, und alle seine Artikel sind darin enthalten. Ich schaue mich um und finde eine Sicherheitslücke in seiner Anwendung, die ich ausnutzen kann. Eine Art Logikfehler oder eine Schwachstelle in der Eingabesicherheit. Das sind die häufigsten Fälle. Dann schicke ich Ihrem Freund einen bösartigen Link aus dem E-System. Wenn er daraufklickt, löst das den Angriff aus und gibt mir seine Token, die ich meiner Wallet hinzufüge und so ihm stehle. Das ist der größte Schwachpunkt.

ds Arbeiten Sie an einer Lösung für dieses Problem?

Oded Vanunu: Im Prinzip ja. Wir testen die gerade mit Kunden. Ich gehe davon aus, dass diese in naher Zukunft auf den Markt kommen wird. Außerdem versuchen wir nicht nur diesen, sondern noch einige andere Aspekte abzudecken.

ds: Es ist also immer dasselbe. Das, was heute als etwas Neues präsentiert wird, wurde in der Vergangenheit bereits entwickelt. Das ist also die nächste Stufe davon.

Oded Vanunu: Ja, doch es ist dennoch eine Innovation, die wir angesichts der künftigen Herausforderungen im Cyberspace fördern wollen, denn im Jahr 2022 wurden auf die beschriebene Weise bereits Vermögenswerte von rund 3 Milliarden US-Dollar entwendet. Das NFT-Ökosystem und die Innovation in diesem Bereich entwickeln sich und die IT-Sicherheit muss mithalten.

ds Das ist ein sehr spannendes Thema. Wir könnten sicher noch viel länger darüber reden. Aber ich würde gerne noch ein anderes Thema ansprechen. Hat die Pandemie das Verhalten von APT-Gruppen verändert?

Oded Vanunu: Ich habe viel zu diesem Thema geforscht. Die Pandemie war ein immenser Anstoß für viele Veränderungen und Entwicklungen, die wir heute beobachten können. Die Cyber-Kriminalität ist viel aggressiver und direkter geworden, vor allem, was Geldforderungen betrifft. Vor der Pandemie fanden alle böswilligen Aktivitäten und die Vorbereitung aller Hacker-Angriffe im Dark Net statt. Das Dark Net ist ein Ort, der für normale Menschen nicht leicht zugänglich ist. Es war daher ein Marktplatz, auf dem Akteure an andere Akteure verkaufen konnten, und ein Ort des Austausches unter Hackern. Als die Pandemie ausbrach, sahen wir eine große Verlagerung vom Dark Net, das ein isolierter Bereich ist, hin zu Telegram, einem leicht zugänglichen Messenger-Dienst. In den letzten zwei Jahren hat sich Telegram zum wichtigsten Marktplatz für Cyber-Kriminelle entwickelt, um ihre Waren zu vertreiben und Dienste anzubieten. Das ist etwas Außergewöhnliches, denn die Geschäftslogik von Telegram erlaubt es, Kanäle zu erstellen, sie mit Bots auszustatten, so dass man nicht einmal anwesend sein muss, und zudem geschieht alles anonym. Man kann eine Anwendung erstellen, die im Grunde Bots sprechen lässt, woraufhin wir anfingen, irrsinnige Ergebnisse zu sehen. Es war wie eine Tiefenrecherche, irre Zahlen rund um die Welt über die Entstehung von Schwarzmärkten. Es ist sehr simpel, weil man nur Krypto oder eine Gift Card verschicken muss, um, was auch immer man haben will, zu kaufen. Im Jahr 2021 war Telegram die wichtigste Plattform für Hacker und APT-Gruppen. Seitdem haben die Aktivitäten jedes Jahr zugenommen. Es gab daher einen generellen Anstieg der Cyber-Angriffe um 60 bis 80 Prozent. Was mit gefälschten Impfausweisen begann, hat sich zu einer Plattform für viele verschiedene Arten von Scams entwickelt. Aus meiner Sicht war die Epidemie der Übergang der Cyber-Kriminalität vom Verstecken ihrer Kanäle, Produkte und Aktivitäten im Dark Net hin zum Präsentieren im öffentlichen Netz.

ds: Wird Telegram weiterhin dafür genutzt?

Oded Vanunu: Natürlich. Es hört nicht auf. Im Gegenteil: die Nutzung nimmt zu.

ds: Wie untersucht Check Point die Nutzung von Telegram und wie sammelt ihr eure Informationen?

Oded Vanunu: Die Grundlage ist Aufklärung. Es müssen viele Informationen auf verschiedenen Plattformen und in verschiedenen Bereichen abgefragt werden. Sobald wir die Möglichkeit haben, Informationen in Echtzeit zu sehen, beginnen wir, eine Art von Operation im Dark Net aufzubauen. Dafür erstellt man Avatare, tritt einer Gruppierung bei, besucht Foren und versucht ständig, Dinge zu kaufen. Diese Operation wurde auf Telegram übertragen und wir haben Tools und Funktionen entwickelt, mit denen wir nach Schlüsselwörtern suchen und Kanäle durchsuchen können, die wir infiltrieren wollen. Wir haben also intelligente Funktionen entwickelt, um die relevanten Informationen zu finden, die wir suchen.

ds: Haben Sie, wie viele Israelis im Bereich der IT-Sicherheit, Ihre Fähigkeiten in der Armee gelernt?

Oded Vanunu: Nein, ich habe in der Armee keine IT gemacht. Jedes Jahr bildet die Armee Tausende von jungen Menschen im Alter von 21 oder 22 Jahren im realen Kampf und im Cyberwar aus. Das ist unbezahlbar. Wenn sie mit der Militär-Ausbildung fertig sind, nehmen sie dieses Wissen und setzen es in Innovationen um. Wir haben also großes Glück, dass wir diese Möglichkeit haben, denn der Cyberspace ist einer der wichtigsten Bereiche, der sich ständig verändert und man muss Schritt halten.

ds: Herr Vanunu, haben Sie vielen Dank für das interessante Gespräch.

Weitere Informationen zum Thema:

datensicherheit.de, 30.03.2023
Cybersicherheit: Prävention vor nachträglicher Erkennung

datensicherheit.de, 03.02.2023
Hacker-Angriffe: Check Point meldet Zunahme der Nutzung von Code-Paketen

datensicherheit.de, 29.06.2020
Cybersicherheit: Vision einer mutigen neuen Welt während und nach der Pandemie

 

 



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