Aktuelles, Experten, Studien - geschrieben von dp am Donnerstag, April 11, 2019 21:52 - noch keine Kommentare
foodwatch: Neue Nährwertkennzeichnung der Industrie irreführend
Verbraucherorganisation fordert Ende des „Kennzeichnungs-Wirrwarrs“
[datensicherheit.de, 11.04.2019] Die Verbraucherorganisation foodwatch kritisiert entschieden den Vorschlag der Lebensmittelbranche für eine neue Nährwertkennzeichnung. Das am 11. April 2019 vom Lobbyverband der Lebensmittelwirtschaft vorgestellte Modell sei irreführend und für Verbraucher erwiesenermaßen deutlich weniger verständlich als eine Kennzeichnung in Ampelfarben. Die Lösung für eine verbraucherfreundliche Nähwertkennzeichnung liege mit der „Nutri-Score“-Ampel längst auf dem Tisch. foodwatch fordert Bundesernährungsministerin Julia Klöckner auf, sich wie ihre Kollegen in Frankreich, Belgien und Spanien „endlich“ für die Kennzeichnung mit dem „Nutri-Score“ stark zu machen. Union und SPD hätten im Koalitionsvertrag vereinbart, bis zum Sommer 2019 ein eigenes Modell zur Nährwertkennzeichnung zu erarbeiten, welches „gegebenenfalls vereinfacht visualisiert wird“. Bundesernährungsministerin Klöckner habe sich bisher gegen das Konzept einer Lebensmittelampel gestellt.
Plädoyer für existierendes, von mehreren europäischen Regierungen und der Wissenschaft getragenes Modell
„Die neue Nährwertkennzeichnung der Industrie ist ein dreister Versuch, eine verbraucherfreundliche Kennzeichnung zu verhindern. Anstatt im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher ein existierendes, von mehreren europäischen Regierungen und der Wissenschaft getragenes Modell wie den ,Nutri-Score‘ zu unterstützen, versucht die deutsche Lebensmittelindustrie mit einem eigenen Modell Verwirrung zu stiften“, kritisiert Luise Molling von foodwatch. Im Gegensatz dazu hätten sich die französische und seit letzter Woche auch die belgische Lebensmittelwirtschaft klar für den „Nutri-Score“ entschieden.
Das Industrie-Modell sieht demnach fünf Kreise auf der Vorderseite der Verpackung vor, die jeweils die im Lebensmittel enthaltene Kalorienanzahl und die Menge an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz visualisieren sollen. In Form eines Tortendiagramms werde dargestellt, wie viel Prozent der empfohlenen maximalen täglichen Zufuhr dieser Nährstoffe der Verzehr von 100 Gramm beziehungsweise 100 Milliliter des Lebensmittels ausmachen.
Neues Modell weniger verständlich als die Lebensmittel-Ampel
foodwatch kritisiert nach eigenen Angaben insbesondere folgende Punkte am Vorschlag der Industrie:
– Das neue Modell sei „weniger verständlich als die Lebensmittel-Ampel“: Wissenschaftliche Studien belegten, dass eine Kennzeichnung in Ampelfarben die verständlichste Form der Nährwertkennzeichnung sei. Diese könne dazu beitragen, „dass Menschen gesünder einkaufen“. Eine einfarbige Kennzeichnung habe dagegen praktisch keinen Einfluss auf das Einkaufsverhalten – dies belege eine groß angelegte Studie der französischen Regierung, die verschiedene Kennzeichnungsmodelle unter realen Einkaufsbedingungen miteinander verglichen habe.
– Zu hoher Referenzwert für Zucker: Die Industriekennzeichnung suggeriere, man müsse täglich eine bestimmte Menge an ungünstigen Nährstoffen konsumieren. Für Zucker etwa liege „der unter Lobbyeinfluss festgelegte Referenzwert bei 90 Gramm pro Tag“. Die Weltgesundheitsorganisation empfehle dagegen, dass eine erwachsene Frau täglich nicht mehr als 50 Gramm, besser noch maximal 25 Gramm an freien Zuckern zu sich nehmen sollte.
Gesamtbewertung des Nährwertprofils eines Produktes mit „Nutri-Score“
Ärzteverbände, Krankenkassen und Verbraucherorganisationen forderten schon seit Langem verbindliche Maßnahmen gegen Fehlernährung und Übergewicht, etwa eine verständliche Nährwertkennzeichnung in Ampelfarben oder eine Steuer auf gesüßte Getränke.
In Ermangelung einer verbindlichen europäischen Regelung hätten mehrere Länder Ampelkennzeichnungen auf freiwilliger Basis eingeführt. Das von französischen Wissenschaftlern entwickelte Modell „Nutri-Score“ finde dabei gegenwärtig immer mehr Unterstützer: Es sei bereits in Frankreich und Belgien eingeführt worden, auch Spanien habe seine Einführung angekündigt.
Das Modell sei von unabhängigen Wissenschaftlern entwickelt worden und nehme eine Gesamtbewertung des Nährwertprofils eines Produktes vor, indem günstige und ungünstige Nährwertbestandteile mit Punkten bewertet und dann miteinander verrechnet würden. Lebensmittel wie Tiefkühlpizzen, Frühstücksflocken oder Fruchtjoghurts ließen sich mit dem „Nutri-Score“ auf einen Blick vergleichen.
Weitere Informationen zum Thema:
BLL Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V., 11.04.2019
Nährwerte auf der Schauseite: Spitzenverband der Lebensmittelwirtschaft entwickelt neues Kennzeichnungsmodell
foodwatch die Essensretter
Fragen & Antworten zum „Nutri-Score“
nutrients, 01.10.2018
Objective Understanding of Front-of-Package Nutrition Labels: An International Comparative Experimental Study across 12 Countries
REPUBLIQUE FRANCAISE, MINISTERE DES AFFAIRES SOCIALES ET DE LA SANTE, 21.04.2017
Simplified nutrition labelling / Implementation of the Law on Modernising our Health System (article 14-II) / Report of the steering committee for assessment under actual buying conditions
datensicherheit.de, 21.01.2019
foodwatch fordert Engagement für Lebensmittelampel in Deutschland
datensicherheit.de, 23.08.2018
Vorbild Frankreich: Belgien führt Lebensmittelampel ein / „Nutriscore“-Modell soll gesunde Ernährung fördern
datensicherheit.de, 31.01.2018
Produktwarnungen: foodwatch kritisiert unzureichende Information der Verbraucher
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